SIL-konforme Bühnensteuerung mit bewährter Technik

TTS setzen im Kern auf die vielfach erprobte VMEbus-Technik von esd electronics

Bühnentechnische Anlagen stehen in direkter Umgebung zu Bühnenarbeitern und Schauspielern, die sich bei ihrer Arbeit auf die Technik verlassen können müssen. Sicherheitsstandards regeln den Aufwand der Absicherung, um Menschen nicht zu gefährden aber auch um realisierbare Anlagen zu erhalten.

Theatertechnische Systeme TTS aus Syke planen und realisieren bühnentechnische Anlagen seit mehr als 40 Jahren. Ende der 90er-Jahre entwickelten sie zusammen mit esd electronics ein SIL-konformes Steuerungskonzept auf der Basis von VMEbus-Rechnern. Ein Konzept das heute noch „State-of-the-Art“ ist.

Beeindruckende Darbietungen mit schnellem Kulissen- und Personenwechsel, offenem Bühnenumbau sowie Spezialeffekten machen Ober- und Untermaschinen mit Steuerungen nach SIL (Safety Integrity Level) unumgänglich. Zu Obermaschinen zählen Prospektzüge, Punktzüge, Portalanlagen, Schnür- und Rollenböden, Arbeitsgalerien sowie Hubtore und -wände. Untermaschinen dagegen sind verstellbare Podien, Personenversenkungen, Drehbühnen, Bühnenwagen sowie eine Saalbodenverstellung. Die Steuerung solcher Einrichtungen, von denen nicht wenige Antriebe synchron mit anderen laufen müssen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Das Syker Unternehmen TTS stattet seit mehr als vier Jahrzehnten weltweit Theater- und Konzertsäle sowie Veranstaltungszentren mit modernster Bühnentechnik aus. Das Spektrum reicht von einzelnen Maschinen und Anlagen bis hin zu kompletten Systemen mit Ober- und Untermaschinerie. „Seit 1997 entwickeln wir hierfür auch TÜV-geprüfte, elektronische Prozessorsteuerungen, wie die TTS-EMS III mit SERCOS und TTS EMS IV mit EtherCAT. Beide sind gemäß Sicherheitslevel SIL 3 nach IEC 61508 abgenommen“, sagt Ole Sörensen, Entwickler bei TTS, und ergänzt: „Wir arbeiten in diesem Bereich eng mit dem hannoverschen Systemhaus esd zusammen, das über langjährige Erfahrungen in der Prozesssteuerung sowie mit VMEbus-Systemen verfügt.“

Bewährtes Steuerungskonzept

Das Steuerungskonzept basiert auf einem gedoppelten VMEbus-Leitrechner und daran angeschlossenen TTS-Achsrechnern, die die Antriebe steuern. Der VMEbus (Versa Module Eurocard-bus) ist ein Multi-User-Bussystem und wurde Anfang der 80er-Jahre für die Motorola-Prozessorfamilie 68000 entwickelt. Einige Jahre später standardisierte die IEC ihn in der ANSI/IEEE 1014-1987. Der VMEbus wird vielfach in sicherheitsrelevanten Steuerungen eingesetzt und ist beispielsweise für Anwendungen in der Luft- und Raumfahrt zertifiziert. Mit diesen Referenzen lag es nahe ihn auch in theatertechnischen Systemen einzusetzen. Da der VMEbus aktuelle Prozessoren wie den Intel x86 oder den PowerPC unterstützt, war es esd möglich, CPU-Karten mit einer neuen leistungsfähigeren Rechner-Architektur aufzubauen. Diese CPU-Karten mit PowerPCs und Ethernet-Ports setzt TTS in den Leitrechnern des bewährten Steuerungskonzeptes ein. Die Rechner tauschen ihre Daten nun über Ethernet, statt wie früher über CAN aus. Die nachgeschalteten Achsrechner sind mit einem der Leitrechner über Signalleitungen direkt verbunden und mit dem anderen über einen Feldbus. Dadurch entsteht neben der Geräte- auch eine Kabelredundanz. Die Fahrfreigaben und -bestätigungen werden von beiden Leitrechnern empfangen beziehungsweise ausgegeben. Als Feldbus hat sich SERCOS in Verbindung mit LWL-Leitungen und in neueren Systemen EtherCAT auf Kat-5-Leitungen bewährt. Die Steuerung der Sicherheitsfunktionen erfolgt über eine von TTS speziell für Theater entwickelte Software.

Risikominimierung durch SIL

Da sich Bühnenarbeiter und Schauspieler während ihrer Tätigkeit unter Zügen und den daran hängenden Lasten aufhalten müssen, sind umfangreiche Schutzeinrichtungen gefordert. Verschiedene Richtlinien und Normen beschreiben hierzu die funktionale Sicherheit von Steuerungen. Zur Minimierung des Risikos legt die IEC 61508 und die IEC 61511 im Wesentlichen folgendes fest:

• Risikodefinition und -bewertung nach detaillierten Versagenswahrscheinlichkeiten

• Festlegung und Umsetzung der Maßnahmen

• Einsatz zugelassener Geräte

• Wiederkehrende Überprüfung der geforderten Sicherheitsfunktionen.

Die Risikodefinition erfolgt entsprechend dem Risikograph nach IEC 61508/61511. Hiernach berücksichtigt der Sicherheitslevel SIL 3 beispielsweise folgend Risikoeinschätzung: Schwere irreversible Verletzung einer oder mehrerer Personen oder der Tod einer Person (C2), bei häufigem oder dauernden  Aufenthalt (F2) und einer kaum möglichen Gefahrenabwendung (P2) oder der Tod mehrerer Personen (C3) bei seltenem bis öfteren Aufenthalt (F1) und kaum möglicher Gefahrenabwendung (P2). Für beide Fälle ist eine relativ hohe Eintrittswahrscheinlichkeit angenommen (W3). Insgesamt sind in SIL 3 fünf unterschiedliche Einschätzungen formuliert. Diesen Risikoeinschätzungen stehen technische Anforderungen gegenüber, die es einzuhalten gilt. (Risikograph)

Um diese Anforderungen zu erfüllen, sind auf der Hardware-Ebene der Leitrechner und die Achsrechner sowohl Geräte- als auch Leitungsredundant ausgeführt. Darüber hinaus gehende Safety-Anforderungen gemäß SIL 3 werden über eine spezielle TTS -Software in die rechnergestützte Steuer­ung implementiert. Die Befehle, beispielsweise für das Verfahren des Deckensegels, gehen immer von den Eingaberechnern und den daran angeschlossenen Fahrhebeln oder Tastern aus. Die Eingaberechner sind üblicherweise Industrie-PCs und über Ethernet mit den redundanten Leitrechnern verbunden. Zusätzlich wird immer ein Freigabesignal von den Fahrhebeln oder Tastern direkt zum Leitrechner geführt. Die Leitrechner leiten die Fahrbefehle über einen Feldbus an die Achsrechner weiter. Diese erhalten wiederum auch Freigabesignale vom Leitrechner und melden ihren Status sowohl über den Feldbus als auch über direkte Verbindungen an den Leitrechner. „Eine unserer Zielsetzungen bei der Entwicklung war es, alle sicherheitsrelevanten Vorgänge und Abfragen auf der aus Achs- und Leitrechnern bestehenden Steuerungsebene und unabhängig vom gewählten Antrieb zu realisieren“, erläutert Ole Sörensen das Konzept. Für jeden zu steuernden Antrieb, egal ob Prospekt oder Punktzug, Bühnenpodium, Drehscheibe oder Bühnenwagen, wird ein eigener Achsrechner eingesetzt. Jeder der zweikanalig aufgebauten Achsrechner ist für die Positionierung und Überwachung der ihm zugeordneten Antriebsachse zuständig. Vom Leitrechner können die Achsen der Ober- und Untermaschinerie gleichzeitig angesteuert werden, sodass beispielsweise ein Podium mit aufgesetztem Prospekt wegsynchron verfahren werden kann.

Praxisbeispiel

Auf der Bühne im Schauspielhaus Hannover finden pro Tag zwei verschiedene Vorstellungen sowie die dazu erforderlichen Proben statt. Daneben gibt es aber auch Vorstellungsblöcke mit mehreren gleichen Vorstellungen über mehrere Tage. Zuverlässige und sichere Bühnentechnik ist hier das A und O. Im Jahr 2004 lies das Schauspielhaus die Obermaschinerie komplett sanieren sowie die Antriebs- und Steuerungstechnik der Untermaschine erneuern. Zum einen sollten die Bühnenanlagen mit zusätzlichen Zügen ausgestattet werden, um komplexere Szenenwechsel zu ermöglichen. Zum anderen gab es für die veraltete Bühnensteuerung keine Ersatzteile mehr. TTS bot dem Schauspielhaus daraufhin ihr SIL-konformes Steuerungskonzept TTS-EMS II mit der VMEbus-Rechnerkarte MVME 172 von esd an, die auf einer 68K-CPU basiert. Da das VMEbus-System modular aufgebaut ist, können einzelne Baugruppen einfach getauscht und Erweiterungen in der Bühnensteuerung jederzeit vorgenommen werden. Die I/O-Karten mit jeweils 32 digitalen Prozess-Eingängen und -Ausgängen wurden entsprechend dem neuen Anlagenbedarf geplant und installiert. Sie kommunizieren mit den Achsrechnern, die wiederum 76 Antriebe steuern. In der Obermaschinerie sind beispielsweise 40 Prospektzüge mit stehenden Seiltrommeln im Betrieb. Jeder kann mit 500 kg belastet werden und verfährt mit 1,5 m/s. Beeindruckend sind auch die drei Beleuchterzüge mit den darauf montierten Scheinwerfern, sie halten 1,5 Tonnen und lassen sich mit 0,6 m/s verfahren. In der Untermaschine befinden sich die Antriebe für 4 Podien mit 3 mal 12 Meter Größe, die einen Hubweg von 9,32 Meter überwinden und 5 Tonnen Last aushalten. 2011 erhielt die Steuerung eine Leistungsanpassung auf TTS-EMS III, die aufgrund der Modularität des Steuerungssystems problemlos umgesetzt werden konnte. Im Zuge dessen wurde die VMEbus-Rechnerkarte durch die leistungsstärkere PowerPC-CPU, der MVME 5100 von esd, ersetzt. „Wir sind mit der Anlage sehr zufrieden, sie funktioniert zuverlässig und wenn wir Erweiterungen planen oder Fragen haben, erhalten wir von TTS prompte Unterstützung. Das war früher nicht so“, sagt Dirk Scheibe von der Betriebstechnik im Schauspielhaus.

Konzept erlaubt kundenspezifische Bedienung

Da alle sicherheitsrelevanten Vorgänge und Abfragen auf der Steuerungsebene und unabhängig vom gewählten Antrieb erfolgen, kann TTS das Betriebssystem für die Bedienoberfläche weitgehend frei wählen. „In weiten Bereichen können wir uns den Wünschen unserer Kunden anpassen und Lösungen mit unserer Multi-Touch -Bedienoberfläche auf der Basis von Windows 7 anbieten“, sagt Ole Sörensen. Die Steuerung arbeitet mit einem oder auch mehreren Bedienpulten. Diese können je nach Ausführung stationär, tragbar und auch drahtlos per Funksteuerung ausgeführt sein. Die Eingaben erfolgen vorzugsweise über Touchscreen-Monitore. Auf den Bildschirmen kann zwischen den unterschiedlichen Bildschirmdarstellungen für Eingabe und Visualisierung umgeschaltet werden. Mit Anwahlfeldern in topographischer Anordnung für alle steuerbaren Antriebe im Bühnengrundriss lassen sich die Antriebe im täglichen Proben- und Einrichtbetrieb schnell und übersichtlich anwählen. Die Fahrtabelle zeigt dem Benutzer klar gegliedert alle Zuordnungen zwischen Fahrhebeln und Antriebsachsen mit allen gewählten Fahrparametern. Die aktuellen Positionen, wie Hubbereichsbegrenzungen und Zielpositionen, werden für alle Antriebsachsen in Balkendiagrammen dargestellt.

Fazit

TTS entwickelte mit esd ein SIL-konformes Steuerungskonzept auf der Basis von VMEbus-Rechnern und eigener SIL-konformer Software. Das Konzept der gedoppelten Leitrechner mit Kabelredundanz hat sich über Jahrzehnte bewährt und ist heute noch „State of the Art“. Da der VMEbus aktuelle Prozessoren unterstützt, entwickelt esd CPU-Baugruppen mit leistungsfähiger Rechner-Architektur. Durch die Modularität des VMEbus-Systems können die CPU-Baugruppen einfach ausgetauscht und die I/O-Karten dem aktuellen Bedarf angepasst werden. Mit der weitgehend unabhängigen Bedienebene lassen sich Kundenwünschen in weiten Teilen erfüllen. Damit erhält der Kunde ein investitionssichereres System ohne Abstriche in Komfort und Leistung.

Bühnentechnische Anlagen unseres Kunden Theatertechnische Systeme TTS
SIL-konforme Bühnensteuerung unseres Kunden TTS

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